Entspannungshelden
Nachdem sie den Wecker ausgestellt hat, wandert Maries erster Blick aufs Handy. Eine rote vier in Whatsapp und drei neue E-Mails. Sofort schnürt sich in ihr alles zusammen. „Bitte keine Krankmeldungen heute“, denkt sie. Die junge Leitungskraft hat nach ihrem Studium der Sozialen Arbeit, den Fachwirt zur Kita-Leitung gemacht und ist mit ihren gerade einmal 29 Jahren die Jüngste im Team.
Sie scrollt durch die E-Mails, nur Spam. Danach öffnet sie Whatsapp und stößt wie befürchtet auf die Krankmeldung von Lisa. Ihr ging es gestern schon nicht gut, doch Lisa hat sich zumindest gestern durchgebissen. „Hey Marie, es tut mir voll leid, doch ich kann heute nicht arbeiten. Mein Hals tut so sehr weh, außerdem kann ich nicht sprechen. Habe echt kaum Stimme. Gehe zum Arzt. Denke, bin Montag wieder fit. Sorry. Ich weiß wie schwierig das gerade ist.“
Noch vor ihrem ersten Kaffee klappt Marie das Notebook auf und schaut in den Mitarbeitenden-Pool der Springerkräfte. Seit das System digitalisiert ist, hat sich vieles vereinfacht, doch die pädagogischen Fachkräfte sind noch nicht alle fit mit dem neuen System. Ihre Hoffnung ist daher nicht sehr groß, so kurzfristig Ersatz für Lisa zu finden.
„Hallo, ich schon wieder. Suche heute für die Schmetterling-Gruppe jemanden, der spontan von heute 07:30 bis 16:30 einspringen kann.“
Marie blickt zur Uhr. Es ist 5:55 Uhr. Sie muss ihren Sohn Karl wecken. Sie schlurft in sein Zimmer und küsst ihn zärtlich auf die Stirn. „Aufwachen, mein kleiner Spatz.“ Karl dreht sich nochmal um. „Ich komme gleich nochmal wieder, dann musst du aber wirklich aufstehen.“ Sie drückt den Knopf der Kaffeemaschine und beginnt wie jeden Morgen die Rohkost zu schneiden und Brote zu schmieren.
Kurz vor sieben kommt sie in der Kita an. Die ersten Eltern sind bereits da und stehen teils gelangweilt, teils genervt an der Sandkiste, während ihre Kinder völlig übermüdet im Sand spielen. Die Zeit von sieben bis acht deckt Marie selber ab und fasst dabei die Gruppen aufgrund von Personalmangel zusammen. Da ist es wieder das Pfeifen im Ohr, das sie seit Wochen wahnsinnig macht. Sie schließt auf und schon beginnt ihr Tag. Eine Sammlung aus Lärm, Geschrei und zu kleinen Stühlen. Sie nimmt ihr Notebook mit in die Gruppe und schaut in den Mitarbeitenden-Pool. Patricia1982 hat geantwortet. „Hey Marie, ich kann kommen. Würde dafür gerne Donnerstag freimachen. Bereite mich vor und bin gleich da.“ – Marie fällt ein Stein vom Herzen, zumindest kurzfristig.
Eine typische Situation aus dem Kitaalltag einer jungen Leitungskraft. Bestimmt hast auch du dich an der einen oder anderen Stelle wiedergefunden. Beispielsweise in der Ungewissheit, wie viele Mitarbeitende wohl heute ausfallen. Vielleicht auch im Modus Operandi, in dem deine morgendlichen Routinen aus einem Funktionieren und Überlebensmodus bestehen. Schon die kleinsten Störungen oder Verzögerungen sorgen für jede Menge Stress und damit ein dysreguliertes Nervensystem.
Im Kitaalltag sind wir pädagogischen Fachkräfte unzähligen Stressoren ausgesetzt, darunter Lärm, Zwangshaltungen, Hektik, Dokumentationspflicht, Kinderkrankheiten und Co. Von den Bedürfnissen der Schutzbefohlenen und deren Eltern mal ganz zu schweigen, die trotz Personalmangel noch hochwertige pädagogische Arbeit fordern und sich (verständlicherweise) das Beste für ihr Kind wünschen. Hinzukommt noch der eigene Anspruch an die Tätigkeit im Kita-Alltag.
Das Nervensystem einer pädagogischen Fachkraft läuft im Arbeitsalltag auf Hochtouren. Stressreaktionen wie Rückenschmerzen, Ohrenpfeifen, Magen-Darm-Probleme oder das Pressen mit den Zähnen sind typische Anzeichen für eine Dysregulation. Ebenso emotionale Faktoren wie: Niedergeschlagenheit, Erschöpfung oder Gereiztheit. Weitere Leidtragende sind dabei oft die Kinder.
Ein dysreguliertes Nervensystem strebt nach Ausgleich und benötigt den aktiven Einsatz von Tools und Techniken, die pädagogische Fachkräfte erlernen können. Kurse zur Stressbewältigung, Entspannung und Achtsamkeit unterstützen darin, Stressreaktionen frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen. So kann eine kurze Atemtechnik oder Muskelentspannung auf dem Klo schon zu einer Regulation führen. Bei größerer Anspannung müssen es schon größere Aktivitäten sein, bei denen die Kinder mit eingebunden werden können. Beispielsweise durch einen Sprintwettbewerb im Garten.
Unterstützung finden Fachkräfte beispielsweise über Präventionskurse, die von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden und auch als betriebliche Gesundheitsförderung vom Träger eingesetzt werden können. Mittlerweile geht das auch über Onlinekurse oder Apps, die keine zusätzliche terminliche Belastung für Fachkräfte darstellen. „Entspannung, wann und wo du willst“ versprechen dabei die Entspannungshelden, mit ihren Onlinekursen Autogenes Training und Progressive Muskelentspannung oder der Entspannungshelden App.
Die hohe Kunst der Gelassenheit ist es, gar nicht erst in die Dysregulation zu fallen. Sondern im Vorfeld und präventiv für günstige Bedingungen zu sorgen, die ein entspanntes Miteinander ermöglichen. Doch hierbei ist nicht nur die Fachkraft selbst gefragt, sondern oft auch die Einrichtungsleitungen und Träger, die Entscheidungen über Personalschlüssel und Arbeitsbedingungen treffen können. Systeme, die auf „Gesundberechnungen“ basieren, sind nicht mehr länger tragbar und realitätsfern.
Ein Blogbeitrag von Johannes Förster – https://entspannungshelden.de/